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Der Schweizer Torhüter Reto Berra zählt seit vielen Jahren zu den Besten seiner Zunft. An Silvester gewann er mit Fribourg-Gottéron einen bedeutenden Titel. Mit seinen starken Auftritten trug er maßgeblich dazu bei, dass seine Mannschaft erstmals in ihrer Geschichte beim Spengler Cup in Davos triumphierte. Mit der Schweizer Nationalmannschaft hatte er bei der IIHF Weltmeisterschaft im Frühjahr 2024 in Tschechien die Silbermedaille geholt. Im Gespräch mit NHL.com/de erzählte der 38 Jahre alte ehemalige NHL-Profi, wie schweißtreibend sein Job als Goalie ist, wie er während eines Spiels konzentriert bleibt, warum er früher viele Nächte vor dem Fernseher verbrachte und was er nach der aktiven Laufbahn vorhat.

Hallo Reto, zunächst einmal nachträglich herzlichen Glückwunsch um Gewinn des Spengler Cup. Welchen Stellenwert hat der Titel für dich und deine Mannschaft?

Er hat eine große Bedeutung. Der Turniersieg kam für uns genau zum richtigen Zeitpunkt. Seitdem ist es für uns in der National League gut gelaufen. Wir hatten den Saisonstart verschlafen und taten uns die gesamte erste Saisonhälfte schwer. Doch nach dem Erfolg im Spengler Cup haben wir zu unserem Spiel gefunden und uns in der Tabelle stetig verbessert.

Persönlich verbinde ich ebenfalls viel mit dem Spengler Cup. Schon als Kind habe ich mir das Turnier im Fernsehen angeschaut. Der HC Davos war später von 2007 bis 2009 meine erste richtige Station in der obersten Spielklasse der Schweiz. 2011 habe ich den Cup als Gastspieler bei Davos das erste Mal gewonnen. Ich war seinerzeit in der Liga für den EHC Biel-Bienne aktiv.

Was macht den besonderen Reiz dieses traditionsreichen Wettbewerbs aus?

Man kann als Mannschaft innerhalb von nur einer Woche einen Titel gewinnen, nicht bloß ein oder zwei Spiele. Das ist cool. Die Stimmung und das Ambiente in Davos, mit Schnee und Sonnenschein, sind einmalig. Die Familie darf mitkommen, ich hatte sogar meinen Hund dabei. Wenn man bei so einem Event gut spielt und erfolgreich abschneidet, verleiht einem das sehr viel Energie.

Was sich für euch im weiteren Saisonverlauf ausgezahlt hat…

Absolut. Ab dem 22. Dezember sind wir in den Flow gekommen. Den wollen wir aufrechterhalten und mit in die Playoffs nehmen.

Was fehlt euch noch im Vergleich mit Spitzenteams wie dem Lausanne HC und den ZSC Lions?

Ich würde sagen die Konstanz. Wir hatten in der regulären Saison gute Phasen, dazwischen aber immer wieder ein paar schlechte Spiele. Wir haben allerdings keinen so großen Druck wie Lausanne oder Zürich. Von ihnen wird erwartet, dass sie ganz vorne stehen und um den Titel spielen. Bei uns hört man nirgends die Forderung nach der Meisterschaft. Wir versuchen einfach, so gut wie möglich abzuschneiden.

Du hast 42 von 52 möglichen Einsätzen in der regulären Saison absolviert und bist mit deinen 38 Jahren immer noch auf einem Top-Niveau? Wie schaffst du so ein straffes Programm?

In meinem Alter kenne ich mich und meinen Körper bestens. Ich weiß, was ich brauche und wie ich mich gut und richtig erhole. Ich muss zum Beispiel nicht mehr so viel trainieren wie früher. Die Abläufe sind in mir drin. Aus diesem Grund kann ich mich im Trainingsalltag etwas mehr zurückhalten, zumal wir bei den Übungseinheiten in der Regel zu dritt sind als Torhüter. Von daher klappt das wunderbar. Die Spiele gehe ich ebenfalls anders an als früher. Vor zehn Jahren war ich danach häufig völlig platt. Das ist jetzt nicht mehr so. Zudem bin ich wesentlich entspannter, wenn ich auf dem Eis stehe. Das spart ebenfalls Kraft. Man darf nicht unterschätzen, wie energiezehrend der mentale Aspekt ist.

Hinzu kommt, dass Torhüter während eines Spiels eine Menge an Flüssigkeit und damit an Gewicht verliert, oder?

Ja, das stimmt. Ich gehöre zu denen, die viel schwitzen. Da tropft alles an mir. Anderthalb bis zwei Kilo sind es sicherlich, die ich pro Spiel verliere – manchmal sogar mehr, manchmal etwas weniger. Die Ausrüstung hat ihren Anteil daran. Darunter staut sich alles und es wird heiß. Man schwitzt sogar, wenn man länger nichts zu tun hatte und keinen Schuss halten musste, weil man sich so darauf konzentriert, dass der nächste jederzeit kommen kann.

Wie hältst du als Torwart die Konzentration hoch?

Ich habe dafür während meiner Profilaufbahn einige Tools entwickelt – manche bewusst, andere wiederum unbewusst. Dazu gehört, dass ich versuche, jedem Pass meiner Mannschaft nachzugehen, auch in der gegnerischen Zone. Ich stehe dann sehr aufrecht, damit ich gut atmen kann. Außerdem rede ich viel mit meinen Leuten und gebe dabei laute Kommandos wie „Zeit“, „kommt jemand“ oder „hier ist offen“. Das alles hilft mir, dass ich voll im Spiel drin bin.

Du hast 2024 mit der Schweiz bei der Weltmeisterschaft die Silbermedaille geholt. Nächstes Jahr stehen Olympia und die Heim-WM mit Fribourg als Austragungsort an. Sind das zwei Turniere, an denen du gerne teilnehmen würdest?

Auf alle Fälle, zumal die geplante Schweizer Heim-WM 2020 ausfiel. Aber im Moment ist das weit weg. Ich war dieses Jahr noch nicht bei der Nationalmannschaft. Mit unserem Trainer (Patrick Fischer – d. Red.) habe ich im August gesprochen und ihm signalisiert, dass ich mir vorstellen könnte, bei Olympia und der WM 2026 zu spielen. Falls ich die Einladung dazu bekomme, werde ich aber wie immer auf meinen Körper hören und in dem Moment entscheiden, ob es das Richtige ist oder nicht.

Das Schweizer Eishockey hat in den vergangenen Jahren international mehrfach von sich reden gemacht. Vielleicht klappt es ja ausgerechnet im eigenen Land mit dem WM-Titel.

Das Niveau ist wirklich beachtlich geworden. Mit den ZSC Lions hat dieses Jahr nach dem Genève-Servette HC im Vorjahr zum zweiten Mal ein Schweizer Team die Champions Hockey League gewonnen. Davor waren es meistens Teams aus Skandinavien. Im Bereich der Nationalmannschaft haben uns zweimal die Schweden und einmal Tschechien erst im WM-Finale geschlagen. Von daher habe ich drei Silbermedaillen bei mir zu Hause. Vielleicht klappt es ja irgendwann mal mit dem Triumph bei der WM.

Wie intensiv verfolgst du noch die NHL?

Ich schaue mir mit meinen Teamkollegen fast jeden Vormittag im Kraftraum die Highlights an. Ab und zu werfe ich auch mal einen Blick auf die Tabelle. Das 4 Nations Face-Off fand ich großartig, vor allem wegen der zahlreichen Stars, die dabei waren.

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Bevor ich in die NHL ging, habe ich in Biel gespielt und mir viele Nächte den Wecker gestellt, um Spiele live zu sehen und die Torhüter zu studieren. Besonders gefallen hat mir Carey Price. Nachts saß ich vor dem Fernseher, vormittags bin ich zum Training und nachmittags habe ich Schlaf nachgeholt. Sehr professionell war das sicherlich nicht (lacht). Aber ich wollte eben der Beste werden, deshalb dieser Live-Anschauungsunterricht.

Mittlerweile schaue ich in meiner Freizeit viel weniger Eishockey als noch vor zehn oder 15 Jahren. Das gehört zu meiner Regeneration dazu, mich nicht nur dem Sport zu widmen.

Was machst du, wenn du nicht deiner Arbeit nachgehen musst?

Ich bin oft mit dem Hund draußen in der Natur, lese oder sitze einfach im bequemen Sessel und hänge bei guter Musik meinen Gedanken nach. Ich koche gerne und gehe dafür vorher frische Sachen einkaufen. Manchmal ist der Tag schnell vorbei, wenn man erst um halb Zwei zu Hause kommt.

Hast du schon Pläne, die über deine aktive Zeit als Eishockey-Spieler hinausgehen?

Ich mache mir viele Gedanken in dieser Hinsicht und komme immer wieder zu dem Schluss, dass ich dem Eishockey treu bleiben möchte. Ich habe viel zu erzählen und viel zu geben. Ich habe mich intensiv mit den Hochs und Tiefs in meiner Karriere auseinandergesetzt und Tagebücher geschrieben. Es wäre schade, wenn dieses Wissen verlorenginge. Torwarttrainer würde mir definitiv Spaß machen oder etwas im Bereich Mentalcoach. Ich wäre glücklich, wenn ich jungen Torleuten mit meinen Erfahrungen helfen könnte.